Ein Leberblümchen erzählt weiter ...

Erinnern Sie sich noch an mich? Ich möchte nicht angeben, aber ich bin schon etwas Besonderes.

Mein Name ist ‘Blaues Wunder‘, oder um es ganz richtig zu machen: Hepatica nobilis var. nobilis ‘Blaues Wunder‘.

Ich bin eine sehr schöne Auslese, aus der hier im Norden Europas heimischen Leberblümchenart. Wie man an meinen drei gleichgroßen Blattloben erkennen kann, gehöre ich in die Triloba-Gruppe. Ganz im Gegensatz zu der sogenannten Angulosa-Gruppe, die durch größere, fünflappige Blätter und vor allem eher waagerecht gestellte Knospen auffällt.

Der rumänischer Familienzweig aus der Angulosa-Gruppe (Hepatica transsilvanica) hält sich meist etwas abseits von uns, dabei sehen sie so interessant aus. Groß, stattlich, auch auf trockenen Böden toll wachsend … Ach, ich komme ins Schwärmen.

In den vergangenen Jahren war ich bei mehreren „Familientreffen“, daher weiß ich, dass es viele Formen und Standortvarianten gibt. Da gibt es zum Beispiel die hübsche Marmorierung auf den Laubblättern. Vor allem bei der Verwandtschaft aus den Pyrenäen war das oft zu sehen. Und stellen Sie sich vor, eine meine Tanten (Hepatica nobilis var. glabrata) aus Skandinavien hat keinerlei Rotanteil in sich, ein richtiger Albino in Grün also. Um noch speziellere Typen in der Verwandtschaft kennenzulernen, müsste ich mehr reisen. Meine Eltern unterhalten einen regen Briefwechsel mit Amerika, da gibt es einige Verwandte (Hepatica nobilis var. acuta und Hepatica nobilis var. obtusa). Ich erinnere mich, dass es hieß, sie hätten viel mehr Härchen an ihren Blatt- und Blütenstängeln. Offensichtlich ist die Laubschicht viel dicker, durch die man im Frühjahr wachsen muss, da helfen die Haare beim „durchgleiten“.

Spannendes hat auch ein Onkel aus dem fernen Korea berichtet. Er erzählte von einem Riesen in ihrer Familie, der alleine auf eine Insel lebt (Hepatica maxima). Mit gut fünfundzwanzig Zentimeter Höhe und ungewöhnlich großen Laubblättern und Saatständen fällt diese Art besonders auf. Gleichfalls im fernen Korea wächst die zierliche Hepatica nobilis var. insularis. Im Winter einziehendes, wunderschön gezeichnetes Laub ist hier hervorzuheben.

Und wenn ich schon von den asiatischen Verwandten berichte, da gab es doch noch diese kleine Oma aus China, sie ist anscheinend näher mit dem rumänischen Teil der Familie verwandt, denn auch ihre kleinen Laubblätter sind fünflappig. Wirklich zierlich, die Dame. Auf einem sehr bekannten Berg wächst eine weitere Art aus der Angulosa-Gruppe. Diese ist allerdings viel größer, hat toll behaartes Laub und eine fantastisch aussehende Blattunterseite in purpurrot.

Bereits in meiner Kindheit wurde von einem verschollenen Verwandten erzählt. Und nun hat man ihn tatsächlich in Zentralasien wiederentdeckt. Hepatica falconeri gehört auch zu den fünf gelappten Arten, aber viele bezeichnen ihn als die Ur-Hepatica.

Dabei finde ich ja, er hat wenig mit uns gemein – ganz tief eingeschlitzte Laubblätter und sehr zierliche Blüten. Hoffentlich hält er sich nicht für etwas Besseres …

Aber besonders stolz ist meine Familie auf ihre Verbindungen nach Japan. In dem Land werden Hepatica schon seit Jahrhunderten verehrt, es gibt sogar Städte, die unsere Blüten als Wappen tragen. Die Farben der dortigen Familienmitglieder sind oft viel intensiver und die Formen wesentlich vielfältiger als in unseren heimischen Wäldern. Da kann man schon mal neidisch werden. Allerdings hab ich mir sagen lassen, dass viele asiatische Arten im Winter ziemlich herumschwächeln. Sie sind einfach keine normale, matschig-nasse Jahreszeit gewöhnt.

Naja, dann müssen sie halt im Garten die besten Plätze bekommen, wir Einheimischen sind da ja nicht so anspruchsvoll. Aber noch besser wäre wohl, unsere jeweils besten Eigenschaften zu erhalten oder gar zu verknüpfen. So, wie sich in der Natur immer der Stärkste durchsetzt und Anpassung sinnvoll ist. Doch dafür brauchten wir Hilfe, denn auf Grund der Entfernungen, lässt sich dieses nicht durch Bienen und Wind erreichen. Also hab ich mal mit einigen Gärtnern gesprochen …

Und tatsächlich, die ersten spannenden Versuche hat schon vor Jahrzehnten ein Schwede unternommen. In Deutschland gab es die ersten Kreuzungen von Hepatica nobilis var. pubescens mit Hepatica transsilvanica. Die wirklich wunderschönen Kinder aus dieser Vereinigung fasst man zur Zeit als Hepatica x euroasiatica zusammen. Zweifarbige Blüten, gute Wuchseigenschaften und so robust im Garten, wie meine heimischen Schwestern und Brüder.

Wenn also das Einkreuzen von Hepatica transsilvanica sehr gut wüchsige, robuste Gartenstauden hervorbringt, dann liegt hier wohl die Zukunft. So legt zum Beispiel mein Züchter den Schwerpunkt auf die Verbindung von Hepatica transsilvanica und die wunderschönen japanischen Formen und Farben (Hepatica x tranns-japonica). Nicht, dass wir heimischen Pflanzen nicht schön wären, aber ihr hättet mal beim letzten Familientreffen die Ecke mit den jungen Leuten beobachten sollen. Große, gutaussehende Typen mit leuchtend rosa oder ganz dunkelblauen Blüten. Gesundes Laub und kein bisschen Zimperlichkeit hinsichtlich unseres norddeutschen Wetters. Ich freue mich schon aufs nächste Mal, mal schauen, ob die Familie weiter wächst …

Ich hoffe, Euch ein wenig neugierig, auf mich und meine weitläufige Familie, gemacht zu haben. Besucht uns doch mal in unserem Hepatica-Garten im echten Norden

Es lädt ein, euer Leberblümchen: ‘Blaues Wunder‘